Terezín

In Terezín, etwa 70 km von Prag entfernt, wohnen heute wieder rund 3.000 Menschen. Das sind knapp 500 weniger als 1941, zur Anfangszeit der deutschen Besatzung, bevor die Terezíner aus ihren Häusern verdrängt und in ihrem Dorf das Konzentrationslager Theresienstadt eingerichtet wurde.

Es hat schon etwas Seltsames heute durch Terezín zu laufen, den Plan des Ghetto-Museums in der Hand, auf dem sich die beschönigenden deutschen Straßennamen des Propaganda-Ghettos Theresienstadt lesen lassen: Parkstraße, Hauptstraße, Seestraße, Bahnhofstraße. Dann den heutigen Bewohnern Terezíns zu begegnen, die in diesen Straßen, die schon lange wieder tschechische Namen tragen, ihrem Alltag nachgehen: ein Junge mit Schulranzen, der um die Ecke gerannt kommt, eine Frau mit Kinderwagen, die ein Lebensmittelgeschäft betritt, ein paar ältere Männer, die auf dem Hauptplatz vor dem Rathaus auf einer Bank sitzen.

Während man vom Ghetto-Museum zur Betstube läuft, und von der Betstube zur ehemaligen Magdeburger Kaserne, begegnet man immer wieder auch den Menschen, die hier leben, und fragt sich, ob ihnen selbst dieses Leben auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers manchmal seltsam vorkommt: Ob sie sich wundern über die deutschen Schulklassen, die täglich durch ihre Straßen laufen oder über die Reisegruppen, die vor ihren Häusern stehen bleiben, während Fremdenführer auf die Dachböden zeigen und erklären, wie viele Menschen dort auf engstem Raum untergebracht wurden. Ob sie darüber stolpern, wenn an der Fassade eines Wohngebäudes, das schon länger keinen neuen Anstrich mehr bekommen hat, noch die Beschriftung BLOCK C.IV/1.3 04-10 zu lesen ist. Ob ihnen noch ein kalter Schauder über den Rücken läuft, wenn sie mit dem Fahrrad an den Überresten des Anschlussgleises vorbeifahren, das die Nazis ins Innere des Lagers verlegten, damit die Bewohner der umliegenden Dörfer nicht mitbekamen, wie viele Menschen nach Theresienstadt gebracht wurden. Ob sie selbst mal im Ghetto-Museum waren oder eine Führung in der kleinen Festung, dem ehemaligen Gestapo-Gefängnis, mitgemacht haben, oder ob das zu den Dingen gehört, die man, wie so vieles, nur tut, wenn man an einem Ort zu Besuch ist.

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